Statt eines Lehrplans - eine Positionsbestimmung
Ein an einer Schule durchzuführendes inszenatorisches Projekt ist viel mehr und braucht viel mehr als "nur" eine "Zirkus AG" um sein ganzes Potential auszunutzen. - Warum das wichtig ist? Weil Zirkus und Zirkus AG nicht zur bloßen Darstellung verkommen dürfen. Zirkus ist keine billige Möglichkeit eine Schule/Einrichtung möglichst publikumswirksam nach außen zu präsentieren. Zirkus darf auch nicht zum bloßen Spaßprojekt verkommen (sicher, Zirkus mach Spaß - aber eben auch Arbeit, Dreck und Schweiß - aber schwitzen kann ja auch wieder Spaß machen...). Auch ist Zirkus mehr als "bloße" körperliche Ertüchtigung. Was kann Zirkus alles, was sehen wir in ihm, was soll der Zirkus hier eigentlich?
Zirkus ist m.M. als kulturelles Phänomen im Geertz'schen Sinne zu betrachten. Kultur in diesem Sinne ist das (selbstgesponnene) Bedeutungsgeflecht, in dem wir uns bewegen, in dem wir verstrickt sind. - Ein semiotischer Kulturbegriff, ein sehr abstraktes Niveau für die Tatsache, dass hinterher "nur" ein "paar Kinder" ein "paar Kunststücke" aufführen sollen. Aber grade das ist es ja: Die Kinder zeigen nicht nur ein paar Kunststücke; damit würde man ihnen nicht gerecht - sie zeigen viel mehr, wir sehen noch viel mehr und werden noch viel mehr sehen.
Bestimmt wäre eine noch tiefergehende abstrakte Ausarbeitung der im Hintergrund schlummernden Bestien Abstraktion und Theorie bereits an dieser Stelle möglich; ich möchte aber zuerst konkreter werden um die Möglichkeit zu schaffen mitzuarbeiten um dann mitzutheoretisieren - gerne können aber bereits jetzt Meinungen dazu kundgetan werden (siehe Diskussionsreiter unten).
Als erstes sollten wir die Schul-/Institutionsform berücksichtigen - denn wir wissen bereits was stattfinden soll ("Zirkus AG"). Aber wo?
Offensichtlich ist zuerst einmal zwischen Grundschule und weiterführender Schule zu unterscheiden, weniger offensichtlich auch nach Bundesland, da die Grundschuljahre zwischen den Bundesländern variieren; so hat NRW vier Grundschuljahre, Berlin/Brandenburg aber sechs. In der weiterführenden Schule/Oberschule sind deutlich mehr Varianten zu berücksichtigen: Haupt-, Real- oder Gesamtschule, Gymnasium, Berufskolleg, Oberstufenzentrum usw. usf. Oder handelt es sich gar nicht um eine Schule, sondern um eine andere Kinder-/Jugendeinrichtung? Mitnichten geht es nur um das Alter der Schülerinnen und Schüler bzw. Teilnehmerinnen und Teilnehmer, sondern auch um Vorbildung und Kenntnisstand, sozialem Hintergrund und hier verlassen wir die Schul-/Institutionsform als Hintergrundfaktor und könnten uns bereits individueller Voraussetzungen der Kinder bzw. Jugendlichen zuwenden, bleiben aber noch beim Eingangssatz.
Nicht nur die Schule und deren Schüler muss berücksichtigt werden, zur Schule gehören auch das Kollegium, die Leitung, der Hausmeister/technische Dienst, der Schulträger, die Eltern; in einem weiteren Sinne auch das Kutusministerium (Beispiel "Offener Ganztag" in NRW), die Stadt.
Wie sind die Voraussetzungen bei Ihnen? - Was braucht man überhaupt?
Was ist eigentlich ein inszenatorisches Projekt? - Unter dem Begriff Inszenierung sollen alle Projekte mit Öffentlichkeitswirksamkeit zusammengefasst werden; deswegen, weil nicht nur die Schülerinnen und Schüler (und bisweilen die Lehrerinnen und Lehrer bis hoch zur Schulleitung) etwas inszenieren, sondern weil diese Inszenierungen immer öffentlich im Gegensatz zur alltäglichen Arbeit im Klassenzimmer sind. Selbst wenn der Schulalltag die Klassenräume verlässt, beispielsweise wenn es zum Sportplatz geht, ist dies nicht öffentlich - Schulausflüge stellen hier einen Grenzfall dar. Die Aufführung der Theater AG, des Schulorchesters oder des Schwarzlichttheaters sind in diesem Sinne Inszenierungen. Der Tag der Offenen Tür ebenfalls. Noch mehr fasst er viele Inszenierungen unter einem Hut zusammen, so auch das Schulhoffest, der Vorstellungstag für die Neuen oder diverse Einschulungs- und Abgangsfeste.
Projekte zeichnen sich durch ihre zeitliche Begrenztheit aus. Sie zerfallen in ihrem zeitlichen Verlauf in Projektplanung, Projektdurchführung, Projektziel und, wenn alles gut geht: Projektevaluierung, Projektverbesserung, Projektdurchführung usw. Das usw. deckt bereits einen Widerspruch auf: Einerseits sind Projekte zeitlich begrenzt, andererseits kann man sie immer weiter führen. Ich möchte deswegen lieber von einer Neuprojektionierung sprechen, nicht im Sinne einer "wir machen die Zirkus AG zu einer anderen AG", sondern im Sinne von Neuausrichtung auf ein neues Projektziel, auf einer neue Inszenierung. Projekte zeichnen sich nämlich auch durch ihre inhaltliche Begrenztheit aus; wie weit oder knapp diese inhaltliche Begrenztheit ausgelegt ist, ist dabei wie die zeitliche Ausdehnung dem Projekt inhärent.
Welchen zeitlichen Rahmen soll das Projektziel bei Ihnen füllen? - Eine kurze Nummer auf dem Schulfest oder ein abendfüllendes Programm? Haben sie bereits Erfahrung mit größeren Inszenierungen?
Welchen zeitlichen Rahmen soll das Projekt haben? - Wie häufig soll geprobt werden?
Welche inhaltliche Umfang soll wie gewährleistet werden? - Was heißt "ganzes Potenzial ausnutzen"?
Ich sehe das ganze Potenzial einer "Zirkus AG" nicht nur in ihrem inszenatorischen Charakter, nicht nur in ihrer Öffentlichkeitswirksamkeit. Ich sehe ihr ganzes Potenzial nicht nur im mehr oder weniger zügigem Beibringen mehr oder weniger beliebiger "circensischer" Kunststücke. Gewiss, beides ist wichtig: die Öffentlichkeitsarbeit und die Bewegungskoordination. Aber ein inszenatorisches Projekt kann mehr: Es verzahnt nicht nur - und das wäre schon erstrebenswert - verschiedene AGs miteinander, sondern es verzahnt auch den nicht-öffentlichen Schulbetrieb mit dem Öffentlichen: So lernen Schüler im Kunstunterricht wie 3-D-Zeichnen funktioniert und können es auf dem Bühnenbild anwenden; mathematisch interessierte Schüler können die theoretischen Grundlagen dazu erarbeiten und ein par Nerds bauen ein Möbiusband und schmeißen alles über den Haufen.
Wieviel möchten Sie? - Die Transferleistungen im projektorientierten inszenatorischem Zirkusbereich sind enorm. Zirkus kann so viel mehr sein als "nur" bunte Bänder schwingen.
Das kann lichttechnische, bühnentechnische, tontechnische, filmische Bereiche betreffen, ebenso kostümbildnerische und dramaturgische, auch tänzerische, akrobatische, zauberische, jonglierische selbstverständlich. Auch "Nummern", die ursprünglich im Sportunterricht "abgeprüft" wurden, können - wenn alle Beteiligten es denn wollen - inszenatorisch bearbeitet und das heißt, wie oben erklärt, öffentlich gezeigt werden. Tanz, Parcour, Thai-Chi, Badminton (als Showeinlage ähnlich wie in Forrest Gump, das wär mal was...) sind hier denkbar - und noch viel mehr.
Auch in der Zirkus AG wird aber es immer "Nummern" geben, die nie öffentlich gezeigt werden. Entweder weil die Akteure es nicht wollen, lieber für sich trainieren oder aus anderen, auch inszenatorischen, Gründen. Dies steht der Entfaltung eines bestmöglichen Potentials für denjenigen Schüler aber nicht im Weg.
Eine Zirkus AG muss, wie jeder Unterricht auch, auch und gerade die individuellen Voraussetzungen seiner Schülerinnen und Schüler berücksichtigen - denn für sie muss das Potenzial bestmöglich entfaltet werden.
Deswegen kein Lehrplan sondern ein Currciulum.